Philosophische Einbettung

„Bilder können, müssen aber nicht als Zeichen funktionieren“[1], schreibt der Philosoph Lambert Wiesing und betont damit die Mannigfaltigkeit von Bilderzeugnissen. Auch die junge Künstlerin Luise Raithel verzichtet partout auf den zeichenhaften Charakter und damit auf jede Absicht, eine abbildhafte Darstellung zu leisten. Mit dem Verzicht auf einen referenziellen Verweis auf ein existierendes oder fiktives Außen und der Betonung auf das Hier und Jetzt, reiht sie sich ein in die Tradition der Phänomenologie und rückt damit einzig die Erfahrung als solche in den Vordergrund. Die intuitive Herangehensweise zeigt sich im künstlerischen Prozess Raithels, in der sie, wie sie selbst sagt, sich von bewussten und unbewussten Vorgängen leiten lässt. Es ginge ihr um das Einfangen eines Augenblicks in seiner Spontaneität, in seinem von Kontingenz geprägten Zustand. Die Perzeptionen und Eindrücke werden von ihr auf der Leinwand, manchmal auch auf Holz, in Farbe übersetzt. Die verschiedenen Farbschichten legen sich sodann wie eine Art Flickenteppich auf die zu füllende Fläche. Doch geht es der Künstlerin nicht um das Reparieren oder Ausbessern von Materialität im herkömmlichen Sinne eines Flickens, sondern viel eher um das Zusammenbringen von eingefangenen Eindrücken, die erst in ihrer Verbundenheit ihre Sinnhaftigkeit konstituieren. So sind die einzelnen Farbflächen zwar in gewisser Weise autonom, das Beziehungsgefüge der Farbflächen zueinander erweist sich jedoch als wesentlich bedeutsamer.

Bei näherer Betrachtung erscheinen die mittleren und vorderen Schichten besonders präsent; eine Beobachtung, die der Philosoph Nicolai Hartmann in seiner Schichtenlehre niedergeschrieben hat und die sich im übertragenen Sinne punktuell auf Luise Raithels Arbeit anwenden lässt. Die hinteren Schichten im Werk Luise Raithels lassen sich schließlich nur erahnen, was der Eigenart dieses Schaffensprozesses zugeschrieben werden kann, wobei es der Künstlerin keinesfalls um eine Darstellung hierarchischer Verhältnisse geht. Wie bereits angedeutet, steht es viel mehr für eine Fülle an Phänomenen und Perzeptionen, die in ihrer Schichtenhaftigkeit zwar zu keiner Einheit, dafür aber zu einem Gesamtbild geordnet werden. Die Gefahr in einer solchen Perspektivierung bestünde sicherlich darin, dass sich das Werk trotz seiner Anschaulichkeit im Schichtendasein paradoxerweise in seiner Zweidimensionalität als Leinwand gefangen sähe, doch sei Materialität nicht mit Realität gleichzusetzen, würde nun Hartmann argumentieren. Die Gefahr der Zweidimensionalität befiele dadurch einzig den Anspruch auf Objektivität, den die Künstlerin mit ihrem Pinselstrich jedoch niemals erhob. So sei auf die einladende Geste verwiesen, für einen Moment Teil ihrer subjektiven und zugleich poetischen Erfahrung zu werden.

Patricia Fritze, 2021


[1] Wiesing, Lambert: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. 5. Auflage. Suhrkamp Verlag. Berlin, 2005. Seite 40.